Sonntag, 29. November 2015



Heilmittel Sehnsucht Teil 3:
Fortsetzung: Was ist Sehnsucht?



Im letzten Beitrag haben wir uns mit der „dunklen“ Seite der Sehnsucht befasst:
Damit, dass es sich hoffnungslos, melancholisch, verzweifelt anfühlen kann, wenn man das Gefühl hat, dass die Sehnsucht unerfüllt bleibt. Und natürlich würde ich diesem Thema nicht so viel Aufmerksamkeit schenken, wenn Sehnsucht nur diese eine „dunkle“ Seite hätte. Natürlich gibt es – wie bei allen anderen Dingen in unserer polaren Welt - auch die andere Seite.
Und so sagte Otto Runge einmal:


„Die innere brennende Sehnsucht ist der Quell, woraus alle meine Kraft, alles, was ich hervorbringe, entsteht; Ohne diese Sehnsucht bin ich nichts, als ein unbesaitetes Instrument.“
Philipp Otto Runge, 1802/
Otto Runge, Briefe und Schriften. S.5.   Henschelverlag Kunst und Gesellschaft, Berlin, 1983

Ohne Sehnsucht fühlt er sich also „unbesaitet“.
Was meint er genau damit? Ein Instrument ohne Saiten kann ja keine Musik machen. Da
dies aber seine Bestimmung ist, müssen Saiten aufgezogen werden, damit es seinen
„Lebenszweck“ erfüllen kann.
Vielleicht sind auch wir Menschen – mindestens zum Zeitpunkt  unserer Geburt – noch
unbesaitet.  Die „richtigen“ Saiten zu finden, die zu unserem Instrument passen, ist nicht
immer leicht. Wir sind alle von Anfang an aus einem „bestimmten Holz“ geschnitzt, also
für eine bestimmte Art von Instrument vorgesehen.
Die „hardware“ wurde uns schon mitgegeben, mit verschiedenen Eigenschaften, wie
z.B., ob wir als kleines oder großes, Blas-/ oder Zupfinstrument „gedacht“ sind.
Dazu schreibe ich später mehr.
Die Sehnsucht hat also auch etwas, dass uns nach vorne schauen lässt, solange wir
die Hoffnung haben, das zu erreichen, wonach wir uns sehnen. Es gibt also auch eine
„helle “ Seite.

„Gott schuf die Sehnsucht nach dem Ziel, um uns auf den Weg zu locken“

sagt Christina Brudereck, (deutsche Diplom-Theologin , lebt im Sauerland)

Dies hört sich ganz anders an, als die Zitate über die „dunkle“ Seite der Sehnsucht.
Diese „helle“ Seite der Sehnsucht fühlt sich ähnlich wie Vorfreude an.
Sie zeigt, wo unser Weg uns hin führen kann, gibt eine Vorschau dessen, was uns erwartet. wenn wir ihn gehen. Sie hilft uns auch, auf dem Weg zu bleiben, obwohl wir mit Hindernissen konfrontiert werden, weil sie die Funktion einer Zugkraft hat, die starker emotionaler  und deshalb motivierender Natur ist.

Ein Ziel, dass "vernünftig" ist, also stärker von unserem Verstand bestimmt wird, hat nicht die gleiche Kraft. Um  ein solches Ziel zu verfolgen, brauchen wir einen starken Willen. Es erscheint mir sinnvoll, sich in diesem Fall zu fragen, welches seine Motivation ist.

Ein Ziel, das von unserem Herzen, bzw. letztendlich von unserer Seele angesteuert wird, lässt sich schwer unterdrücken, wenn wir es uns erst einmal bewusst gemacht haben.
Gefühle, die wir in Verbindung mit Ausdrücken wie z.B.: „brennende“ Sehnsucht oder „im Grunde meines Herzens“  haben, machen das deutlich.

Einen  scheinbar neuen Aspekt finden wir in einem Zitat von Andreas Müller -
einem Astro-Physiker. Der sagt über sein Forschungsgebiet:
„Die Beobachtung des Himmels .... in diesem Sinne eine Vorstufe der Erkenntnis, eine
Wahrnehmung, die uns uns selbst näher bringt...“

Ist das nicht interessant?
Die einen sprechen von göttlicher Nähe, die anderen von einer Nähe zu sich selbst!
Ist es nicht für viele Menschen ein Widerspruch, „sich selbst nah zu sein“ und wird oft
mit Egoismus gleich gesetzt????
Streben wir nicht oft  - gerade im religiösen Kontext - nach Askese und Bescheidenheit,
wenn es um unsere eigenen Bedürfnisse geht?

Weiter sagt Andreas. Müller über den Sternenhimmel:
„Es ist ein sehr emotionales Erlebnis zwischen Faszination und Melancholie. Der Betrachter der Sterne gerät schnell ins Träumen, in’s Phantasieren, ins Philosophieren.
Plötzlich findet man sich in einem philosophischen Diskurs, wo gleichsam die Urfragen der Menschheit gestellt werden:
Woher kommen wir? Wohin gehen wir? ....“

Diese „Urfragen“ können wir auch auf unser irdisches Leben übertragen:
Woher kommen wir, wohin gehen wir während wir hier auf der Erde leben?
Und weiter abgewandelt: Wohin führt uns unsere Sehnsucht?


Fazit aus der ersten Frage: Was ist Sehnsucht?

  1. Der innige Wunsch nach etwas, das wir im Moment nicht haben
  2. Der Wunsch nach mehr Nähe zu Gott
  3. Der Wunsch nach mehr Nähe zu sich selbst
  4. Die Antwort auf die „Urfragen: Woher komme ich – wohin gehe ich?

Im nächsten Beitrag geht es dann um die Frage des „Warum“:
Warum könnte es sich lohnen, uns auf den Weg zu machen, unsere Sehnsucht zu erkunden?
Gibt es gar einen tieferen Sinn?



Montag, 23. November 2015


„O, ein Gott ist der Mensch, wenn er träumt, ein Bettler, wenn er nachdenkt...“ 
Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Heilmittel Sehnsucht Teil 2

Was ist Sehnsucht?


Sehnsucht kennt sicher jeder Mensch in der einen oder anderen Form.
Das Wort kam bei der Wahl des schönsten deutschen Wortes auf Platz 3!
Wir sehnen und also anscheinend gerne, empfinden es als schön.
Wir sehen die ersten wärmenden Sonnenstrahlen im Frühling ebenso herbei, wie
eine heiße, duftende Tasse Cappucchino nach einen anstrengenden Arbeitstag oder den Duft einer Rose, die wir erblicken.
Oder – und vielleicht es das, was die meisten von uns als Erstes mit Sehnsucht verbinden – nach einem geliebten Menschen.
Entscheidend dabei ist:
Wir sehen etwas herbei, dass wir im Moment nicht haben.
Viele verbinden damit auch den Wunsch oder zitieren das Bild vom berühmten Prinzen auf dem weißen Pferd.
Der hat tatsächlich mehr auch mit der Art von Sehnsucht zu tun, mit der wir uns in der nächsten Zeit beschäftigen werden, auch wenn er häufig eher auf einer Schildkröte zu kommen scheint, weil es so lange dauert...
Wenn wir uns mit unserer Sehnsucht befassen, können wir viel über uns erfahren oder anders herum: Wir müssen uns kennen lernen, wenn wir unseren (oft verborgenen) Sehnsüchten auf die Spur kommen wollen. Ebenso spannend ist, dabei etwas über die Gründe zu erfahren, weshalb wir so oft nicht unsere Sehnsüchte leben, sondern vielleicht geradezu das Gegenteil.
Neben dem Prinzen ist der nächtliche Sternenhimmel für viele ein Sinnbild, wie auch ein Verstärker des Gefühls Sehnsucht.
Und wie oft sehen wir Liebende sich den Sternenhimmel anschauen oder stehen auch selbst sehnsüchtig da.
Aber wissen wir eigentlich, wonach genau wir uns sehnen? Oder ist es eher ein unbestimmtes Gefühl, wenn wir uns die Sterne anschauen?

Auch Vincent van Gogh war anscheinend fasziniert vom Sternenhimmel.
Sein Bild: „Sternenhimmel“ wird häufig als religiöse Sehnsucht verstanden.
Die Interpretation steht im Zusammenhang mit einem Brief an seinen Bruder, in dem van Gogh schrieb, er habe die Absicht, „schwierige Szenen aus dem Leben“ zu malen.
Und weiter: „Dies hält mich nicht davon ab, ein unbändiges Verlangen nach – soll ich das Wort sagen? – nach Religion zu haben. Dann gehe ich in die Nacht hinaus, um die Sterne zu malen.“
 
Er stellt eine Verbindung her zwischen seiner Sehnsucht nach etwas Spirituellem
und dem Sternenhimmel, hat also eine spirituelle Sehnsucht, die er anscheinend nicht
konkret benennen kann oder es sich nicht traut. Der Sternenhimmel spiegelt für ihn
diese Sehnsucht, wider, bringt ihm näher, was er nicht aussprechen kann.

Ein Dichter und Mystiker aus dem persischen Mittelalter, Farradudin Muhammed Attar
stellt ebenfalls  diese Verbindung her. Er schreibt in einem seiner Werke:
„Der Himmel hat aus Trauer darüber, dass er das Ziel seines Suchens, das Wesen
Gottes zu erkennen, nicht erreicht hat, die blaue Trauerfarbe angelegt“

Und Philipp Otto Runge sagte einmal:
„Blau ist die größte Entfernung zum Göttlichen...“
(Hoppe, G.: Blau die Farbe des Himmels. Heidelberg, Berlin 1999.)

Was hier deutlich wird, ist die dunkle Seite der Sehnsucht, also eine Eigenschaft, die sehr
schmerzhaft sein kann, wenn man das Gefühl hat, dass man Jenes, wonach man sich
sehnt, nicht erreichen kann.

Sollte das etwa alles sein, was uns die Sehnsucht „zu bieten hat“, wenn wir uns mit ihr
befassen?
Das können Sie im nächsten Teil dieses Beitrags lesen.